Liebert W.-A. (2018) Können wir mit Engeln sprechen? Über die eigenartige (Un-)Wirklichkeit der Verständigung im Religiösen. In: Felder E. & Gardt A. (eds.) Wirklichkeit oder Konstruktion? Sprachtheoretische und interdisziplinäre Aspekte einer brisanten Alternative. De Gruyter, Berlin: 162–193. https://cepa.info/6784
Liebert W.-A.
(
2018)
Können wir mit Engeln sprechen? Über die eigenartige (Un-)Wirklichkeit der Verständigung im Religiösen. [Can we talk to angels? About the peculiar (ir)reality of understanding in the religious]
In: Felder E. & Gardt A. (eds.) Wirklichkeit oder Konstruktion? Sprachtheoretische und interdisziplinäre Aspekte einer brisanten Alternative. De Gruyter, Berlin: 162–193.
Fulltext at https://cepa.info/6784
Excerpt: Während die Kategorie des Menschen vielleicht (noch) nicht ganz verschwunden ist, entstehen Gelegenheiten für andere Kategorien, sich bemerkbar zu machen, eben die nicht-menschlicher Wesen. Wenn wir diese Erweiterung einmal unterstellen, dann erweitert sich das Feld möglicher Kommunikationssituationen immens – und die linguistische Anthropologie kann sich von anderen Disziplinen noch dadurch abgrenzen, als mindestens ein menschliches Wesen an einer Verständigungssituation beteiligt sein muss, um von ihr untersucht zu werden. Wenn diese erweiterte Anthropologie einmal akzeptiert wird, dann können viele analytische Verfahren der Linguistik wieder zum Zuge kommen, denn die an der Verständigungssituation Beteiligten werden sich zu verstehen geben, welche Kategorien sie sich zuschreiben, wie sie sich zueinander positionieren und in welchem Modus ihre Kommunikation zu verstehen ist. Dies kann als eine erweiterte Form von Kontextualisierungshinweisen aufgefasst werden, die dann nicht nur das Verstehen im engeren Sinn steuert, sondern im Grunde ein Dispositiv darstellt, das als kulturelle Kohärenz erfahren, und durch iterierte Praktiken aufrechterhalten und modifiziert wird. Häufig werden diese Kategorisierungen stillschweigend und anscheinend problemlos vorausgesetzt, jedoch können unterschiedliche Wirklichkeitsauffassungen jederzeit zum Tragen kommen. Dann bricht sich eine Kontroverse Bahn, und was bislang als kulturelle Kohärenz und bloße Ressource wahrgenommen wurde, entpuppt sich als ein sperriges Dispositiv mit einer spezifischen Aussagen-, Macht- und Medienkonfiguration (Gnosa 2016). Das Dispositiv wird manifest und kann beobachtbar bearbeitet werden. Gewendet auf die Situation des Betenden, der sich – aus seiner Sicht? – mit einem transzendenten Wesen verständigt, wird der Betende genauso wie in anderen Situationen Kontextualisierungshinweise geben, die zumindest zum Teil manifest sind. Sollen also linguistische Untersuchungen über Sprache und kommunikative Praktiken im Bereich des Religiösen durchgeführt werden, so wird die Auseinandersetzung mit dem Religiösen, insbesondere welcher Wirklichkeitsstatus ihm zukommen und wie es mit Sprache und Kultur zusammenhängen mag, Teil der Analyse sein müssen. Mit der Behandlung dieser Fragen tut sich die Linguistik jedoch recht schwer, denn lange Zeit war Religion ein Synonym für christliche Religion, so dass sich viele Fragen, die seit Jahrzehnten in den Nachbardisziplinen – etwa nach dem Status von Transzendenz – gestellt wurden, wegen des blinden Flecks der christlichen Fokussierung gar nicht auftauchten. Mit der Beschäftigung mit den anderen abrahamitischen Religionen, nicht-monotheistischen oder auch zeitgenössischen populären Formen der Religiosität und Spiritualität stellen sich diese Fragen nun vehement und führen zu der Kulminierung und Zuspitzung in einer Religionslinguistik. Diese grundlegenden Fragen sollen nun im Folgenden gestellt werden. Dazu wird auf den auch in der Soziologie bekannten Ansatz der Philosophischen Anthropologie zurückgegriffen.

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